WBGU: Gemeinsame Agrarpolitik der EU muss sich ändern, um Artenvielfalt zu retten
Gemeinsame Agrarpolitik der EU – aktueller Stand und Forderung des WBGU
Am Dienstag, dem 03.11.2020, überreichte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) sein neues Gutachten „Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration“ an die Bundesministerinnen Svenja Schulze (Umwelt) und Anja Karliczek (Bildung und Forschung). Die Botschaft des rund 350 Seiten umfassenden Berichtes ist deutlich: Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, kann der dramatische, weltweite Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und der Klimaschutz gesichert werden.
Dabei spielt die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. In Deutschland wird auf rund der Hälfte der Landesfläche Landwirtschaft betrieben. Noch vor einigen Jahrzehnten war die Agrarlandschaft ein artenreicher Lebensraum, doch heute sind zahlreiche der typischen Arten der Feldflur, wie etwa Feldhamster, Rebhuhn und Co., vielerorts verschwunden. Die Gründe dafür sind zahlreich. Klar ist aber, dass die Veränderungen in der Agrarlandschaft ursächlich sind. Und an diesen Veränderungen ist die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union maßgeblich beteiligt. Aktuell wird über die GAP Förderperiode 2021-2027 verhandelt. Vor rund zwei Wochen einigte sich der Agrarministerrat auf einen Kompromiss, Agrarministerin Klöckner sprach von einem „Systemwechsel“. Kritiker sehen einen solchen Durchbruch nicht, bedauern „Stillstand“. Im nächsten Schritt verhandeln nun der Agrarministerrat, das EU-Parlament und die EU-Kommission über die Zukunft der GAP. Dieser Prozess, der sogenannte „Trilog“, wird sich wahrscheinlich bis ins Frühjahr 2021 hinziehen.
Die klare Botschaft des WBGU: es bedarf einer umfassenden Ökologisierung der Agrarpolitik, um auch langfristig die Ernährungssicherheit, den Erhalt der Biodiversität und den Klimaschutz gewährleisten zu können. Damit steht der wissenschaftliche Beirat nicht allein, denn auch zahlreiche andere Expertinnen und Experten fordern eine Kehrtwende. Die Nationalen Empfehlungen der Leopoldina Akademie verorten den wichtigsten Ansatzpunkt bei den milliardenschweren Subventionszahlungen im Rahmen der GAP. Diese sollten zukünftig stärker an tatsächlich erbrachte und messbare Ökosystemleistungen, wie den Erhalt der Artenvielfalt, geknüpft werden.
Förderung für Biogas aus Wildpflanzen?
Fest steht, dass sich Einiges an der Architektur der GAP ändern wird. So werden in der kommenden Förderperiode sogenannte Eco Schemes (Öko-Regelungen) in der 1. Säule der GAP verankert werden. Mindestens 20 % der Direktzahlungen sollen dafür reserviert werden. Die Eco-Schemes sollen zu 100 % aus EU-Mitteln finanziert werden. Bei ihrer Ausgestaltung aber soll den Mitgliedsstaaten quasi freie Hand gelassen werden. Als neues Instrument sollen sie Landwirte dabei unterstützen, neue Praktiken zu entwickeln und ökologisch nachhaltiger zu wirtschaften. Falls, wie in dem aktualisierten Bericht „Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2020 – Grüne Architektur“ vorgeschlagen, eine „grundsätzliche Möglichkeit, die Maßnahmen als Öko-Regelung auch mehrere Jahre auf derselben Fläche durchzuführen, um u. a. ihre Wirksamkeit zu steigern“ nachgekommen wird, wäre damit eine indirekte Förderung mehrjähriger Maßnahmen durchaus denkbar. Dann stünde prinzipiell auch der Förderung des Anbaus mehrjähriger Wildpflanzen zur Biomasseproduktion über die Öko-Regelungen nichts entgegen.
Eine andere Möglichkeit, das ökologisch wertvolle und innovative Anbausystem „Bunter Biomasse“ in die breite landwirtschaftliche Praxis zu heben, wäre eine Einbettung in die „erweiterte Konditionalität“. Diese erweiterte oder neue Konditionalität wird neben den bisherigen Cross-compliance Regelungen auch das Greening + enthalten. Um den Forderungen des WBGU und zahlreicher anderer Expertinnen und Experten gerecht zu werden und die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft zu stärken, wäre die Förderung ertragreicher, mehrjähriger Wildpflanzenmischungen ein effektives Werkzeug. Und nicht nur Insekten und Wildtiere würden davon profitieren, denn die über bis zu fünf Jahre stehenden Wildpflanzenbestände schützen auch Boden und Grundwasser und damit die Lebensgrundlage aller Lebewesen, auch der Menschen.
Das gesamte Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen gibt es hier.